Das Eiapopeia vom Wald

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Das Eiapopeia vom Wald

von Karoline Schmidt

Sie singen das alte Entsagungslied, Das Eiapopeia vom Wald, Womit man einlullt, wenn er greint, Den Forst, den großen Lümmel. Es ist das alte Verhältnis von Jagd und Forst – Förster beklagen sich über Wildschäden, Jäger vertrösten –, das der deutsche Dichter Heinrich Heine  hier in seinem satirisch-ironischen Gedicht „Deutschland. Ein Wintermärchen“ beschreibt. Aber nein. Heine hat 1844 natürlich nicht über die Jägerschaft, sondern die Geistlichkeit geschrieben (und auch den Reim hingekriegt): Das Eiapopeia vom Himmel, Womit man einlullt, wenn es greint, Das Volk, den großen Lümmel. Aber auf die Hinhaltetaktik der Jägerschaft, wenn es um Wildschäden am Wald geht, trifft das auch zu, finde ich. Denn es ist tatsächlich ein altes Lied. Spätestens seit den 1970er Jahren, der Ära Hannes Mayer, schlagen Forstwirte Alarm, beklagen die massiven Einflüsse des Wildes. Aus ihrer Sicht gibt es – damals wie heute – zu viel Wild. 

 

Zu wenig Nahrung im Wald…
Aus jagdlicher Sicht – damals wie heute – gibt es nicht so sehr zu viel Wild, sondern zu wenig Nahrung im Wald. Verursacht von einer Forstwirtschaft, die den Wald nur als Holzproduktionsraum und nicht auch als Lebensraum Nahrungsquelle des Wildes sieht. Stichwort Fichtenmonokultur. Das war bis in die 1990er Jahre die vorherrschende Einstellung, das rein marktwirtschaftliche Denken ist auch heute noch häufig. Aber vielerorts hat sich das forstliche Denken stark verändert, bemühen sich die Verantwortlichen um eine auf Naturverjüngung basierende naturnahe Bewirtschaftung. Diese schafft ein kleinflächiges Mosaik an Altersstufen aus verschiedenen standortheimischen bzw. standortangepassten Baumarten, und damit widerstandsfähigere und aufgrund der genetischen Vielfalt an- passungsfähigere Wälder. Und das ist, Stichwort Klimawandel, wichtiger denn je um die Nutz-, Schutz- und Wohlfahrtsfunktion der Wälder zu erhalten. Deshalb haben sich Jagd und Forst in der Mariazeller Erklärung 2012 gemeinsam dazu bekannt: „Die Verjüngung der am Standort typisch vorkommen- den Baumarten soll grundsätzlich dem natürlichen Potenzial entsprechend erfolgen können. Die Wildstände sollen derart gestaltet sein, dass Schutzmaßnahmen nicht die Regel, sondern die Ausnahme darstellen.“

 

 …oder nur zu viel Wild?
Das macht ja auch für die Jagd Sinn: ein naturnah bewirtschafteter Wald hat von Natur aus Nahrung für darin lebende Wildtiere ohne Konkurrenz zur Forstwirtschaft: z.B. ausschlagsfähige Baumarten als Äsestöcke – von Bergahorn und Bergulme über Esche, Hainbuche… bis Vogelbeere und Weiden; es gibt mehr Keimlinge als aufwachsen können, die truppweise Verjüngung bei Tannen ist ein natürlicher Verbissschutz usw. In naturnah bewirtschafteten Wäldern (und nur auf diese beziehe ich mich im Folgenden!) kann es also nicht zu wenig, im Sinne von UNNATÜRLICH wenig Nahrung geben, sondern nur zu viel Wild – gemessen an einem objektiven Kriterium: wenn Naturverjüngung der potentiell natürlichen Vegetation ohne Schalenwild funktioniert (im Zaun), bei Anwesenheit von Schalenwild aber NICHT, dann gibt es zu viel Wild, egal wie viel oder wie wenig Wild man aufgrund von Zählungen vor Ort vermutet. Jagd und Forst müssen also zusammenarbeiten, wenn sie das Ökosystem Wald gemeinsam naturnah bewirtschaften, oder besser: bewohnen wollen.

Denn ein Ökosystem gleicht einem Haus (das griechische Wort „oikos“ bedeutet ja Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft) und die Tür dazu geht nur auf, wenn Jagd und Forst kooperieren. Dort, wo die Forstwirtschaft ihre Vorgehens- weise in Richtung naturnahe Waldwirtschaft verändert hat, hat sie, um beim Hausvergleich zu bleiben, den Schlüssel in die richtige Richtung gedreht und aufgesperrt. Jetzt liegt es an der Jägerschaft, die Türe zu öffnen. Mancherorts gelingt das, meist dort, wo die Waldbesitzer selbst jagen, aber vielerorts geht die Tür nicht auf, der Konflikt bleibt. Woran liegt das? Jäger wollen ja auch keine Schäden, sie bekommen ja auch viel Druck, diese zu verhindern. Wir haben Druck allerorten: Schalenwild macht Druck auf die Vegetation, also steigt der Druck auf die Jäger, den Schalenwildbestand zu reduzieren (für den Verfassungsgerichtshof rechtfertigt der hohe Wildbestand und die Gefährdung des Waldes durch Wild die Ablehnung von Jagdfreistellungen selbst kleinster Flächen), also steigt der Jagddruck auf das Wild.

„Spätestens seit den 1970er Jahren, der Ära Hannes Mayer, schlagen Forstwirte Alarm, beklagen die massiven Einflüsse des Wildes.“ Hier ein besonders drastisches Beispiel, bei dem auch zwischen den malträtierten Fichten fast nichts mehr wächst. 
(Bildauswahl des Beitrags ÖKOJAGD, Foto © M. Rüttiger)


Tür geht nicht auf!

Offenbar aber drücken die Jäger nicht fest genug, denn die aufgesperrte Tür ins Ökosystem Wald geht nicht auf. Vielleicht wollen die Jäger ja gar nicht reduzieren, aller Lippenbekenntnisse zum Trotz. In einem naturnah bewirtschafteten Wald müssten sie nichts tun, außer jagen. Das klingt paradiesisch, aber das wollen die meisten Jäger gar nicht. Sie wollen auswählen, was sie jagen. Nur bei Niederwild und Schwarzwild ist Quantität gefragt, bei Geweih- und Hornträgern aber ist der Jäger ein Gourmet. Er will nicht unmäßig erlegen, sondern ausgesuchte Besonderheiten, das, was in der Natur selten ist: starke, alte Hirsche oder Böcke. Nur ein dauerhaft hoher Wildstand und eine hohe Selektivität garantieren viel von dem, was selten ist (selten in Relation zum gesamten Bestand) und ermöglichen die Planung von 1er-Hirschen auf Jahre – in einem Reviersystem am besten im eigenen Revier oder im Hegering. Warum sollten die Jäger, die ein temporäres Jagdrecht meist teuer erkauft haben, den Wildbestand dem Forst zuliebe reduzieren und sich die Jagd nicht nur erschweren, sondern vermiesen? Kein vernünftiger Mensch wird teuer für etwas bezahlen, das er nur vielleicht, mit deutlichen Einschränkungen und einer Fülle von Auflagen bekommt. Auch wenn einzelne Jäger sich redlich um eine Reduktion der Bestände bemühen (müssen), ist die Jägerschaft im Großen und Ganzen daran doch wohl eher nicht interessiert. Wie anders ließe sich die vielerorts bestehende Notwendigkeit einer Grünvorlage, zudem mit einer Kennzeichnung am Lauscher, begründen?

„Bei Geweih- und Hornträgern aber ist der Jäger ein Gourmet. Er will nicht unmäßig erlegen, sondern ausgesuchte Besonderheiten, das, was in der Natur selten ist: starke, alte Hirsche oder Böcke.“ (Foto © M. Rüttiger)

Tauchen nach herkömmlichen trophäenorientierten Maßstäben strafrelevante Fehlabschüsse auf den Trophäenschauen überhaupt auf? Außer führenden Muttertieren kann es aus Sicht der Wildbiologie und des Tierschutzes keine Fehlabschüsse geben. (Foto © F. C. Heute)


Grünvorlage

Mit welcher Akribie hier vorgegangen werden muss, um den allerorts drohenden Betrug zu unterbinden, und welches Misstrauen selbst den „Überwachungsorganen“ entgegengebracht wird, zeigt beispielhaft die folgende Regelung (Anm. d. Red.): „Mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom 13. Mai 2014, WBL2-J-08210/021, wurden die Jagdausübungsberechtigten oder die von Ihnen betrauten Personen verpflichtet, den Rotwildabschuss, welcher entweder mit Bescheid für einzelne oder mit Verordnung für mehrere oder sämtliche Jagdgebiete des Verwaltungsbezirkes Wiener Neustadt verfügt wurde, unverzüglich nach Erlegung des Wildstückes (auch Fallwildstücke) einem zuständigen Überwachungsorgan zu melden und zur Besichtigung im „grünen Zustand“ bereit zu halten. Nach Rücksprache mit der NÖ Landeslandwirtschaftskammer, Bezirksbauernkammer Wiener Neustadt und dem NÖ Landesjagdverband, Geschäftsstelle Wiener Neustadt, wurde die Liste der Überprüfungsorgane neu erstellt. Die Bestimmungen der bisherigen Verordnung bleiben unverändert.

Die Verordnung lautet daher wie folgt: …

§ 2: In allen im § 1 dieser Verordnung genannten Jagdgebieten sind die Jagdausübungsberechtigten oder die von ihnen betrauten Personen verpflichtet, das verordnungsgegenständliche erlegte Wild (auch das Fallwild) unverzüglich, d. h. bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit, den im § 3 genannten Überwachungsorganen zu melden und das Wildstück im „grünen Zustand“ d.h. der gesamte Wildkörper samt Trophäe, jedoch bereits ordnungsgemäß aufgebrochen und versorgt über einen Zeitraum von 24 Stunden, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Verständigung, an einem für das behördliche Überwachungsorgan zugänglichen, im Bereiche der Gemeinde des Jagdgebietes gelegenen Ort oder zu mindestens Nachbarort, zur Besichtigung bereit zu halten.

(Für Fallwildstücke gilt diese Bereithaltungspflicht nur dann, wenn dies hygienisch vertretbar und möglich ist.) …

§ 4: Die Überwachungsorgane haben die gemeldeten Wildstücke tunlichst zu besichtigen, Kahlwildstücke und Schmalspießer durch Längsschnitt im linken Lauscher zu kennzeichnen, in die Grünvorlage-Kontrollliste (Beilage) laufend einzutragen und die Vorlage auf Verlangen zu bestätigen. Falls keine Besichtigung vorgenommen wurde, ist dieser Umstand ebenso in der Grünvorlage-Kontrollliste zu vermerken. Die Liste ist der Bezirkshauptmannschaft bis spätestens 15.Jänner des Folgejahres vorzulegen.

§ 5: Überwachungsorgane dürfen selbst erlegtes Wild nicht kontrollieren; diese Stücke sind einem anderen Überwachungsorgan (§3) zu melden.


Aber Jäger können ja auch gar nicht so einfach reduzieren: Auch ohne extreme Trophäenfixierung müssen sie wählerisch sein, weil sie Abschusskriterien berücksichtigen müssen. Fehlabschüsse verändern nicht nur den Abschussplan in den folgenden Jahren, sondern haben unangenehme finanzielle und gesellschaftliche Konsequenzen: Strafverfahren, Strafzahlungen, Jägerehrengericht, Disziplinarrat, Gutachten und Gegengutachten, Einsprüche, Landesverwaltungsgerichtshof…. Eine weitere Erschwernis ist die Revierbindung, vor allem bei kleinen Revieren, und die Tatsache, dass die meisten Jäger für eine effiziente Jagd nicht ausreichend Zeit bzw. ausreichend zeitliche Flexibilität haben.

 

Auch wenn Forst und Jagd in der Mariazeller Erklärung „Die Regulierung der Schalenwildbestände [als] die vordringliche Aufgabe der nahen Zukunft“ sehen und Grundeigentümer und Jagdausübungsberechtigte aufrufen „ entsprechende Maßnahmen auf allen Ebenen […] zu setzen“: Der Großteil der Jägerschaft will nicht und kann nicht und kann nicht wollen – weil im bestehenden Jagdsystem der Fokus auf der Erbeutung von Trophäenträgern liegt. Wie anders lässt es sich sonst erklären, dass vielerorts zuerst der Pflichtabschuss von Kahlwild erfolgen muss, bevor männliche Stücke freigegeben werden? Das erinnert an Kinder, die vor den Süßigkeiten erst das Gemüse aufessen müssen.

 

Ginge es den Jägern ums Beutemachen und nicht vorrangig um die Trophäe, müssten nicht Abschusszahlen als Mindestabschuss gelten, außer bei „männlichen Rot- und Rehwild sowie beim weiblichen und männlichen Gamswild jeweils ab dem vollendeten zweiten Lebensjahr“, müssten nicht „die Abschussrichtlinien eine motivierende Regelung der forcierten Kahlwildbejagung über die zusätzliche Freigabe männlicher Stücke“ beinhalten. Kein Wunder, dass vielen Jägern „das Problembewusstsein für die Wald-Wild-Schadensproblematik – vor allem in Rotwildrevieren“ fehlt.

Laut einer market Umfrage1 gar nicht so wenigen: ¾ aller befragten Jäger. Und immer, wenn die Jäger meinen, jetzt hätten sie wirklich reichlich reduziert, schließlich jagen sie wortwörtlich schon Tag und Nacht, jahraus, jahrein nahezu ganzjährig, dann kommen die Förster und greinen. Es muss also, wenn die Jäger sich ohnehin schon so abrackern, am Forst liegen: In der erwähnten Umfrage meint fast die Hälfte der Jäger, „dass die ausgewiesenen Forstschäden entweder weit übertrieben oder gar nur Propaganda der Forstleute sind“. Gleichzeitig geben zwei Drittel der Jäger an, Verbissschäden nicht eindeutig zu erkennen.

Auf diese Jäger wird jetzt noch mehr Druck gemacht, zu reduzieren – sie können ja gar nicht anders als mit Eiapopeia zu reagieren und die Forstseite zu vertrösten und hinzuhalten. Die Sechsjahresbilanz der Mariazeller Erklärung ist größtenteils Wortgeklingel, in dem der Ausgangspunkt („Die Verjüngung der am Standort typisch vorkommenden Baumarten soll grundsätzlich dem natürlichen Potential entsprechend erfolgen können“) als Errungenschaft umformuliert wird: „Dem Wald und seinen Funktionen, speziell dem natürlichen Verjüngungspotential, werden im Jagdgesetz entsprechende Stellenwerte eingeräumt – die Betonung liegt auf der Bedeutung lebensraumangepasster Wildstände zur Vermeidung von Wildschäden und Erhaltung sämtlicher Wirkungen des Waldes durch Modifikation der Zielbestimmungen“.

Das steht alles seit langem in den Jagdgesetzen, formuliert mit für eine Hinhaltetaktik bestens geeigneten Gummibegriffen: „Die Wilddichte darf nur so hoch sein, dass durch sie kein wirtschaftlich unzumutbarer Schaden an der Landeskultur verursacht wird“ – was ist denn zumutbar? Was konkret bedeutet angemessener oder lebensraumangepasster Wildbestand? Zumal die Fütterung diesen Begriff ohnehin entwertet. Was konkret bedeutet „so wenig wie möglich beeinträchtigt“2? Eine klare Angabe gibt es nur im oberösterreichischen Jagdgesetz3: „Der Abschussplan für Schalenwild ist im Interesse der Landeskultur so zu erstellen, dass eine ökologisch und wirtschaftlich tragbare Wilddichte hergestellt und erhalten wird. Diese ist dann erreicht, wenn Waldbestände einschließlich der Weißtanne und der Laubhölzer auf für diese Baumarten geeigneten Standorten nach natürlicher Verjüngung oder Aufforstung ohne Flächenschutz, jedoch mit begleitenden forstlichen Pflegemaßnahmen, innerhalb der forstrechtlichen Fristen gesichert aufwachsen können.“

Was soll man denken, wenn zum Beispiel in der Sechsjahresbilanz des Wald-Wild-Dialogs unter der Überschrift „Änderung“ für Vorarlberg angeführt wird: „Die Jagd darf die Wirkungen des Waldes und besonders die Schutzwirkung nicht gefährden“ oder in Salzburg „Beachtung der Auswirkung der Jagd auf die Land- und Forstwirtschaft“?

 

1 Beutelmeyer, W. (2017) https://www.market.at/news/details/ jagd-und-forst-kein-konflikt-in-oesterreich.html

Abgerufen am17. April 2018
2 Vorarlberger Jagdgesetz „Das Jagdrecht ist so auszuüben, dass die land- und forstwirtschaftliche Nutzung von Grundflächen so wenig wie möglich beeinträchtigt wird“; https://www.ris.bka.gv.at/Geltende Fassung.wxe?Abfrage=LrVbg&Gesetzesnummer= 20000567
3 https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=LROO&Gesetzesnum mer=20000314

Obwohl das oberösterreichische Jagdgesetz konkret fordert, dass die Weißtanne ohne Flächenschutz aufwachsen muss, ist eine solch üppige Tannenverjüngung wie hier in Natternbach, auch in diesem Bundesland die absolute Ausnahme. (Foto © ÖJV Oberösterreich)


Offenbar ist für den überwiegenden Teil der Jägerschaft diese selbstverständliche Aufgabe der Jagd eine echte Neuerung. Obwohl (neben Wildbretgewinnung und Seuchenbekämpfung) die Reduktion der Bestände auf ein land- und forstwirtschaftlich verträgliches Maß die einzige Aufgabe der Jagd ist, für welche das Töten von Wildtieren eine gesellschaftliche Rechtfertigung hat, ist das für viele Jäger offenbar ein unerhörter Gedanke.

 

Kein „Schädlingsbekämpfer“ oder beabsichtigte „Ausrottung“
Symptomatisch dafür ist ein Blogeintrag auf der Seite Jagdagenda, bezogen auf die Situation in Bayern, aber ebenso in Österreich gültig: „Der Jahresabschluss 2014 der Bayerischen Staatsforsten bietet einige aufschlussreiche Erkenntnisse. So wird im Bereich Jagd und Fischerei die ,dienende‘ Aufgabe der Jagd gleich in der Einleitung als allgemein akzeptiertes Faktum dargestellt, frei nach dem Motto, oft genug behaupteter Unsinn wird bald nicht mehr hinterfragt werden
4“ Für den Jäger, der das schreibt, ist die Dienstleitung der Jagd an der Gesellschaft also Unsinn. Ähnlich äußern sich die meisten Jäger, wenn von einer geforderten Reduktion, vor allem von Rotwild, die Rede ist: „Ohne mich – ich bin Jäger und kein Schädlingsbekämpfer“. Es ist fast schon ein Reflex, dass jede Forderung nach einer Reduktion mit einer beabsichtigten Ausrottung gleichgesetzt wird. Das mag auch daran liegen, dass die meisten Jagdgesetze, trotz der breiten Interpretation vieler Begriffe, „den Interessen der Land- und Forstwirtschaft nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes im Widerstreit mit jagdlichen Interessen [den] Vorrang [geben]“ 5- allerdings „Unter grundsätzlicher Wahrung des Lebensrechtes des Wildes“. Deshalb muss offenbar jeder, der eine Reduktion verhindern will, diese als Angriff auf das Lebensrecht des Wildes interpretieren.-

 

4 https://www.jagdagenda.de/brennpunkte/ wald-und-wild/
5 https://www.jusline.at/gesetz/stmk_jagd g_1986/gesamt

 

Jäger als Dienstleister
Freilich hat die Jagd eine dienende Aufgabe: Zumindest für den Schutzwald nannte Wildökologe Hubert Schatz den Jäger schon vor Jahren einen Dienstleister. Das sollte er nicht nur im Schutzwald, sondern generell für Land und Forstwirtschaft sein, indem er ein übermäßiges Anwachsen der Schalenwildbestände verhindert. Das Erbeuten von Trophäenträgern ist das „Zuckerl“, wenn der Jäger dieser Aufgabe zur Gesunderhaltung des Waldes nachkommt. Die Erfüllung der Pflicht ist das, was die Forstwirtschaft, was der Grundbesitzer verlangen muss.

 

Ich weiß schon, ist leichter gesagt als getan und es ist ja nicht so, dass man das nicht schon versucht hätte. Fortschrittlich ist das Land Oberösterreich. Hier richtet sich seit dem Jagdjahr 1994/95 die Abschusshöhe nicht mehr nach den gemeldeten Wildständen, sondern nach dem Zustand der Waldverjüngung. Die Verbissbelastung wird von Jagdausschuss, Jagdausübungsberechtigten und dem forsttechnischen Dienst der Behörde jährlich vor Vegetationsbeginn an Hand von einvernehmlich festgelegten Vergleichs- und Weiserflächen erhoben und beurteilt 6.

„Dieses objektive und nachvollziehbare Verfahren zur Festlegung der Abschusszahlen hat in Oberösterreich zu einer maßgeblichen Versachlichung der häufig sehr emotionell geführten Wald-Wild- Frage beigetragen“. Offenbar aber nicht ausreichend: 2017, knapp ein Vierteljahrhundert später, musste die Landwirtschaftskammer ein Beratungsangebot für die objektive Wildschadens-Feststellung einrichten. Ziel ist wieder die Versachlichung der Diskussion zwischen den Grundeigentümern und den Jagdausübungsberechtigten. Im ersten Jahr haben Wildschadensberater 80 Beratungen vor Ort durchgeführt und in 90% der Fälle einen Wildschaden festgestellt 7.

Warum ändert sich so wenig oder nichts?

Weil Beamte der Forstbehörde oftmals gleichzeitig Organe im Landesjagdverband oder zumindest Jäger sind? Auch hier gibt es einen Jagddruck. So kommt es bei forstlichen Beschwerden zu jahrzehntelangen Verzögerungen. Eine eigentlich notwendige Amtshaftungsklage will aufgrund personeller bzw. Interessens-Verflechtungen dann doch keiner einbringen.

Was tun?

Immer noch meint man sowohl bei der Jagd als auch beim Forst, dass die Lösungen, die man einmal ausprobiert habt, nur nicht gut genug, nicht intensiv genug ausgeführt worden sind. Nach einem Winter wie heuer heißt das für manche in der Jägerschaft wohl: noch intensiver füttern. Für den Forst: eine intensivere, längere und häufigere Bejagung erwirken. Aber noch mehr Druck auf die Jägerschaft (und das Wild) bringt heute und morgen ebenso wenig wie in den letzten Jahrzehnten – es kann nicht funktionieren. Es kann nur schlimmer werden. Denn neben allem anderen führt hoher Jagddruck auch dazu, dass das Wild Menschen allgemein als Gefahr einstuft, was bei zunehmendem Wander- bzw. Alpintourismus die Bejagung zusätzlich erschwert. Und so erlegen die Jäger zwar zu wenig, aber sie drücken nicht zu wenig, sondern zu fest. So fest, dass es ihnen schon weh tut. Niemand will und sollte Wild so bejagen (müssen).

 

6 https://www.land-oberoesterreich.gv.at/ 19750.htm

Gut organisierte Bewegungsjagden mindern den Dauerdruck auf das Wild und sind wesentliche Säule einer effektiven Abschusserfüllung.

(Foto © T. Stephan)


Nicht drücken, sondern ziehen
Wenn eine aufgesperrte Tür mit Drücken nicht aufgeht, sollte man es mit Ziehen versuchen. Wir brauchen eine Änderung um 180 Grad: eine Minimierung des Drucks, nicht nur auf das Wild, sondern auch auf die Jäger. Dazu brauchen wir Jäger mit einer dazu passenden Einstellung – Jäger mit einer 180 Grad anderen Einstellung.


Welche Jäger haben wir denn jetzt?

Werner Beutelmeyer nennt verschiedene Jägertypen8, den Jagdhandwerker, den

vernetzten Effizienzjäger, den modernen Fleischjäger, klassischen Trophäenjäger, den Pseudojäger und den „Hoffnungsjäger“.

„Er ist der in einer (Jagd-) Gesellschaft voll integrierte, der nach bestem Wissen am Abschussplan mitwirkende, der Jäger, der in der Direktvermarktung aktiv ist, bei Schule & Jagd bzw. beim Gemeindeferienprogramm mitarbeitet, beim Adventmarkt am Ortsplatz Rehragout verkaufen hilft, selber viel Wildbret isst und auch seine Nachbarn mitversorgt. Der Jäger, der den permanenten Schnittpunkt zwischen Jagd und Gesellschaft bildet, Jagd verständlich werden lässt durch seine Persönlichkeit und über die mediale Imagegebung erhaben bleibt “

Der Zugang zum Wild und zur Wertschätzung des Wildes ist je nach Jägertyp unterschiedlich. Wer allerdings gar nicht vorkommt, ist der Jäger mit Interesse am Lebensraum des Wildes, einem ausgewogenen Verhältnis zwischen beiden, sodass Schalenwild aufgrund seiner Dichte oder Lebensweise dem Wald nicht schadet.

Diese Jäger gibt es natürlich auch und es gibt sicherlich auch viele, die man dazu motivieren kann, an einem großen Ganzen mitzuwirken, am Gemeinschaftsprojekt Wald.

 

Jagdrecht nicht aus der Hand geben

Damit das funktioniert, sollte der Grundbesitzer das Jagdrecht nicht aus der Hand geben. Wer dem Grundbesitzer das jagdliche Grundbesitzerrecht für nahezu ein Jahrzehnt ablöst, ist auf diesem Grund in jagdlichen Belangen de facto Grundbesitzer und managt das Wild selbstverständlich für seine jagdlichen Bedürfnisse und jagt (im Rahmen der Gesetze) wortwörtlich nach Lust und Laune. Und völlig zu Recht: schließlich bezahlt er ja eben genau dafür. Diese Ökonomisierung der Jagd geht allerdings auf Kosten des Waldes. Denn die forstlichen Bedürfnisse und Anforderungen (zumal jene in angrenzenden Revieren) sind für den Jäger als (Jagd) Grundbesitzer bestenfalls zweitrangig, und wenn sie seinen jagdlichen Wünschen zuwiderlaufen, wird er die Forstseite ignorieren, vertrösten, verzögern oder Einspruch erheben.

 

https://www.waldverband.at/lk-ooe-wild schadensberatung-sorgt-fuer-rechtlicheklarheit/ 8 https://www.market.at/news/details/wildmacht- jagd-ueber-die-trophaeen-eitelkeitund- das-vernachlaessigte-wild.html 

Es gibt überall Jäger, die einen wesentlichen Beitrag zum „Gemeinschaftsprojekt naturnaher Wald“ leisten und damit, im Sinne der Weid-(besser: Wald-)gerechtigkeit und vieler Jagdgesetze, tatsächlich den Lebensraum des Wildes erhalten und verbessern…. … man muss sie nur finden und ihnen im praktischen Jagdbetrieb größtmögliche Freiheiten gewähren. (Fotos © T. Stephan)


Dort wo die Forstwirtschaft die einseitige Sichtweise auf den Wald als Ort der Holzproduktion aufgegeben hat, steht der naturnahen Waldbewirtschaftung nun eine auf rein wirtschaftlichen Prinzipien beruhende Jagdwirtschaft im Weg: Trophäenträger sind zu Produkten geworden, die Jagd auf sie wird nach marktwirtschaftlichen Kriterien gehandelt. Aus diesem Jagdsystem kann der einzelne Jäger nicht aussteigen, das muss der Grundbesitzer tun. Wer als Grundbesitzer oder Forstverantwortlicher den Wald naturnah, und damit wildgerecht, und das Wild waldgerecht bewirtschaften möchte, muss aus der Kommerzialisierung der Jagd aussteigen und falls erforderlich selbst die Regie übernehmen, die Jagd so gestalten bzw. Vorgaben machen und einfordern, dass sie die angestrebte Auswirkung haben kann. Aus gutem Grund stellen zunehmend Grundbesitzer auf Regiejagd um, zwar oft erst bei massiven Wildschäden, doch mit entsprechend positiven Auswirkungen auf den Wald. Kurzfristige Ausgehverträge oder Pirschbezirksverträge mit entsprechenden Vorgaben (v.a. kurze Jagdzeiten) ermöglichen eine wald- und wildgerechte Bejagung. Lokale Jäger sind für gewöhnlich zeitlich flexibler, sie sind vor Ort und haben im Allgemeinen auch mehr Interesse an einem örtlichen Gemeinschaftsprojekt. In einem großräumig abgestimmtem Jagdkonzept mit klaren Vorgaben sind selbst Abschusspakete auf einzelnen Hochständen eine kluge Strategie, auch wenn traditionelle Jäger sich darüber empören oder sie verächtlich machen. Freilich sind diese Jagden wohl nur für jene Jäger attraktiv, die keine hohen Summen ausgeben wollen oder können; dass es meist Jäger sind, die auf den gesellschaftlichen Leitern nicht ganz oben stehen, hat den Vorteil, dass sie in der Regel kooperativer sind. Es sind diese Jäger, die einen wesentlichen Beitrag zum Gemeinschaftsprojekt naturnaher Wald leisten und damit, im Sinne der Weidgerechtigkeit und vieler Jagdgesetze, tatsächlich den Lebensraum des Wildes erhalten und verbessern. Davon abgesehen kann für den Jäger die Befriedigung aus dieser Jagd höher sein, weil der Abschussplan überschaubar und erfüllbar ist und weil ein erlegter Trophäenträger nicht mehr das Ergebnis sorgfältiger Planung, sondern schlicht Jagdglück bedeutet.

 

Die wald- und wildgerechte Jagd der Zukunft
Wir wissen alle, wie wald- und wildgerechte Jagd sein müsste:
• Es wäre eine Jagd auf „Begegnung“. Damit meine ich, dass man nur dann jagt, wenn alle im Abschussplan verpflichtend zu erlegenden Wildarten und Altersgruppen und beide Geschlechter erlegt werden können, also August bis Oktober. (Nach deutschem Jagdrecht wäre mittlerweile die gemeinsame Jagdzeit deutlich länger, von September bis Mitte bzw. Ende Januar. Anm. d. ÖKOJAGD-Red.) Man erlegt bei erster Gelegenheit das erste passende Stück aus dem Abschussplan. Man geht also nicht nur auf eine Art, Altersklasse und Geschlecht (z.B. auf Schmalspießer), denn dabei vergibt man Abschussmöglichkeiten für andere zu erlegende Stücke und schafft dennoch eine jagdliche Beunruhigung.
• Kurze Jagdzeiten. Intervalljagden 1-2 Wochen, zwei- oder dreimal jährlich, idealerweise in Abstimmung bzw. zeitgleich mit Nachbarrevieren bzw. im Hegering. Wer jagen will, nimmt sich die Zeit dafür. Bei der Jagd auf Birk- und Auerwild geht das ja auch. Ist es nicht auch eine Forderung der Weidgerechtigkeit, die jagdlichen Störungen zu minimieren?
• In Waldrevieren keine Jagd auf Füchse oder Marder, da sie eine unnötige Störung ist.
• Keine Rehwildfütterung
• Dort, wo Rotwild gefüttert wird: spätestmöglicher Beginn (um das Wild nicht zu früh im Fütterungsbereich zu konzentrieren), keine Jagd nach Fütterungsbeginn Es liegt am Waldbesitzer zu bestimmen wann, wie, wo und wieviel in seinem Wald gejagt wird und damit selbst eine waldgerechte Jagd umzusetzen. Die Mehrheit der Jäger wird davon nur vertröstend singen – das wusste schon Heinrich Heine: Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, Ich kenn auch die Herren Verfasser; Ich weiß, sie tranken heimlich Wein Und predigten öffentlich Wasser.

 

Aus: Kleine Vorarlberger Waldzeitung 1/2019; basierend auf einem Vortrag im Februar 2019 in Dornbirn bzw. Ludesch Karoline Schmidt, Dr. phil, freischaffende Wildbiologin, Studium der Zoologie und Humanbiologie an der Univ. Wien. Dissertation über ungefüttert überwinterndes alpines Rotwild, APART-Stipendium der Österr. Akademie der Wissenschaft über den Einfluss der Winterfütterung auf die Populationsökologie von alpinen Rothirschen; forscht seit mehr als 30 Jahren im Feld Wildtier-Mensch, in Österreich und anderswo.

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