Der Wolf

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Die Rückkehr des Wolfes Debatte und Herausforderungen aus Sicht der erwerblichen Schafhaltung

Andreas Schenk

 

Im Jahr 2000 begann die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland mit der Ansiedlung eines Rudels in Sachsen. Seitdem hat sich der Wolf im Bundesgebiet ausgebreitet. Die deutsche Bevölkerung steht ihm insgesamt positiv gegenüber, während ihn Teile der Landbevölkerung mit Sorge und Angst betrachten. Besonders betroffen sind Halter von Weidetieren in Wolfsgebieten. Im Konflikt zwischen Stadt und Land ist der Wolf zum Gegenstand einer intensiven gesellschaftlichen Debatte geworden: Natur- und Tierschützer, landwirtschaftliche Tierhalter und betroffene Bürgerinnen und Bürger stehen sich zuweilen unversöhnlich gegenüber. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die aktuelle Situation, die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die ökonomischen Belastungen für die Weidehalter. Der Autor entwickelt aus der Sicht der Berufsschäferei Vorschläge, wie in Zukunft mit dem strittigen Thema Wolf umzugehen ist, um einen weitest möglichen Interessensausgleich und eine Befriedung der Lage wieder herzustellen. Es geht um pragmatische Lösungen für das Zusammenleben von Weidetieren und Wolf. Lösungen, die Weidetierhaltung und Artenschutz nicht gegeneinander ausspielen, sondern geltendes Recht ausschöpfen und so den drohenden Zusammenbruch der – auch aus Naturschutzgründen unverzichtbaren– Schäferei in Deutschlandverhindern sollen.

 

In Deutschland wurden beim letzten offiziellen Monitoring im Jahr 2016/20171Wolfsrudel außer in Brandenburg(22) und Sachsen(14) auch in Sachsen-Anhalt(11), Niedersachsen (10) und Mecklenburg-Vorpommern(3) nachgewiesen. Wolfspaare ohne Reproduktion wurden in Brandenburg(3), Sachsen (4), Niedersachsen(4) und Bayern(2) bestätigt; territoriale Einzelwölfe in Thüringen(1) und Niedersachsen (2).In sechs weiteren Ländern wurden durchwandernde Wölfe nachgewiesen: Baden-Württemberg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Hessen.2 Das Monitoring der Population liegt bei den Bundesländern. Auf Bundesebene werden die Ergebnisse durch die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf zusammengefasst. Die Populationsdatenwerden nur auf Ebene von Rudeln und territorialen Einzeltieren veröffentlicht. Angaben zur Gesamtpopulation sind nicht verfügbar. Der Wolf war 2016/2017 in allen Flächenländern präsent. Er ist eine gesamt deutsche und gesamt gesellschaftliche Herausforderung.

 

Rechtsrahmen
Die gesellschaftliche Debatte zum Wolfignoriert teils das europäische und deutsche Artenschutzrecht. Verschiedene der diskutierten Lösungsansätze wären erst nach langwierigen Rechtsetzungsprozessen umsetzbar.

 

Europa

Der Wolf ist auf europäischer Ebene durch die Richtlinie 92/43/EWG3(FFH-Richtlinie) geschützt. Er ist Anhang IV zugeordnet und gilt damit als strenggeschützte Art. Daher ist es nach Artikel12 (1) verboten, Wölfe zu töten, zu fangen oder zu stören. Ausnahmen von diesen Verboten sind nach Artikel 16 (1)nur im Einzelfall zulässig, sofern drei Bedingungenerfüllt sind:

• Es muss mindestens einer der bezeichneten Ausnahmegründe vorliegen, beispielsweise die Abwehr von ernsten Schäden für Eigentum oder Artenschutz,
• der günstige Erhaltungszustand darf nicht gefährdet werden und
• es darf keine andere zufriedenstellende Lösung geben.

 

Deutschland

In Umsetzung der FFH-Richtlinie gilt der Wolf nach § 7 (1) Bundesnaturschutzgesetz4 als besonders und streng geschützte Art. In der Folge ist es nach §44 (1) verboten, Wölfe zu töten, zu verletzen, zu stören, zu fangen oder ihnen nachzustellen. Ausnahmen von diesem Schutz sind nach § 45 (1) nur im Einzelfallzulässig. Die Voraussetzungen dafür entsprechen den europäischen Vorgaben und gehen teils darüber hinaus. So genügt es für eine Ausnahme nicht, wenn es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt, sondern es darf überhauptkeine zumutbare Alternative geben. Die Genehmigung von Ausnahmen ist Sache der zuständigen Landesbehörden. Zur Regelung von Ausnahmenkönnen die Länder Rechtsverordnungen erlassen. Brandenburg hat 2018als erstes Bundesland diese Möglichkeit genutzt.5 Auch das Wolfsmanagement im Rahmen des Artenschutzrechts ist Ländersache. Dort wird es über Wolfsmanagementpläne und Landesrecht geregelt.


Der Wolf war 2016/2017 in allen Flächenländern präsent. Er ist eine gesamtdeutsche und gesamtgesellschaftliche Herausforderung.
(Bildauswahl ÖKOJAGD, Archivfoto © W. Bajohr)


Der Wolf als gesellschaftliches Thema
Die gesamtdeutsche Dimension des Themas Wolfzeigt sich auch in seiner politischen Bearbeitung. In dem 2018 auf Bundesebene geschlossenen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD wurde ein Absatz zur Weidetierhaltung aufgenommen. Dieser Textbeschäftigt sich ausschließlich mit dem Wolf. Die von den betroffenen Verbänden deutlich angemahnte ökonomische Krise des Sektors wird jedoch nicht angesprochen.6 Auch im Deutschen Bundestag war der Wolf bereits Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen, in einer Entschließung,7 zwei Plenardebatten8 sowie einer Anhörung und einem Fachgespräch in den zuständigen Ausschüssen.9 In der gesellschaftlichen Debatte haben sich zwei Grundpositionen herausgebildet:
• Position A:
Wolf als Teil der Natur, Koexistenz durch Interessensausgleich, Prävention durch Anwendung und Weiterentwicklung von Herdenschutz, reaktive, selektive Tötung von auffälligen Wölfen, Ausschöpfung desgeltenden Rechts, Anerkennung desnotwendigen Schutzstatus. Vertreter (Auswahl): B90/GRÜNE, LINKE,SPD, Verbändeplattform (BVBS,VFD, ÖJV, NABU, WWF, BUND, IFAW, DTSchB)10, ABL, BÖLW11.
• Position B:
Wolf als Eindringling und Gefährder, Ablehnung der Koexistenz, Prävention durch nicht-selektive Bejagung, Einrichtung wolfsfreier Zonen, Änderung des geltenden Rechts, Absenkung des Schutzstatus. Vertreter (Auswahl): CDU, FDP, AFD, Verbändeplattform (DBV, DJV, DLG,VDL …)12.
• Schnittmenge A & B:
Weid
etierhaltung ist kulturell und ökologisch wertvoll, Herdenschutz ist mit den heutigen Mitteln nicht überall möglich, Herdenschutz und Rissfolgen müssen umfassend durch staatliche Beihilfenausgeglichen werden, Tötung von Wölfen, die Herdenschutz überwinden oder Menschen gefährden. Die Europäische Kommission hat eine Änderung des Artenschutzrechts zum Wolf ausdrücklich abgelehnt.13 Daher wird sich die politische Diskussion vermutlich zumindest fachlich auf die Ausschöpfung des geltenden europäischen Rechts konzentrieren. Darauf weisen auch die im Oktober 2018 eingebrachte Bundesratsinitiative der Länder Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen14 sowie die Beschlüsse der 91. Umweltministerkonferenz im November 2018 hin.15

 

Belastung der Weidetierhaltung durch den Wolf
Die Rückkehr des Wolfes trifft besonders die Schafhaltung. Nach Wild sind Schafe und Ziegen mit Abstand seine primären Beutetiere. Aufgrund der – auch ohne Wolf – bereits kritischen ökonomischen Situation der Schäferei bedrohen die zusätzlichen wirtschaftlichen Lasten aus Herdenschutz und Rissen das Überlebendes Sektors. Ökonomische Situation Zwischen 2005 und 2016 sank der Bestand an Mutterschafen in Deutschland insgesamt um 32 Prozent auf 1,1 Millionen.16 Die heimische Selbstversorgungmit Lamm lag 2016 bei 45 Prozent, deutlich unter dem europäischen Mittelwert von 83 Prozent.17 Importen im Wert von 350 Millionen Euro standen lediglich Exporte im Umfang von 57 Millionen Euro gegenüber. Dabei entfielen 56 Prozent des Handelsvolumens aufDrittländer.18

Die Zahl der Betriebe mit mehr als 500 Schafen fiel zwischen 2010 und 2016 um 13 Prozent auf 989 und ihre Schafbestände um 14 Prozent auf 966.000. Diese Betriebe hielten 52 Prozent der Schafe in Deutschland.19

Obwohl haupterwerbliche Schäfereien nur 0,4 Prozent der Agrarbetriebe ausmachen, erhalten sie 6,4 Prozent des genutzten Dauergrünlandes.20 Die Schafhaltung insgesamt pflegt schätzungsweise zehn Prozent des deutschen Grünlandes. Dabei handelt es sich oft um Flächen mit hohem Naturwert in benachteiligten Gebieten. Die wirtschaftliche Situation haupterwerblicher Schäfereien lässt sich betriebsbezogen anhand regelmäßiger repräsentativer Erhebungen des Landes Sachsens nachvollziehen. Die Auswertung für das Wirtschaftsjahr 2015/2016 umfasste 59 Betriebe aus sechs Bundesländern. Diese Zahlen sind gewichtet auf die östlichen Länder, repräsentieren aber etwa sechs Prozent der haupterwerblichen Betriebe in Deutschland:21
• Im Mittel erwirtschafteten die betrachteten Betriebe aus 199.725 Euro Umsatzerträgen ein ordentliches Ergebnis von 45.636 Euro. Davon wurden 22.998 Euro für die Lebenshaltung entnommen.
• Die Erträge stammten zu 34 Prozentaus der Urerzeugung, zu 25 Prozentaus den Direktzahlungen der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union und zu 24 Prozent aus Zahlungen für umweltgerechte Agrarproduktion sowie zu 17 Prozent aus sonstigen Beihilfen und Erträgen.
• Die Betriebe brachten bei einer Eigenkapitalquote von 69 Prozent im Jahr Kapitaldienstleistungen von 24.225Euro auf. Dadurch war selbst ihre kurzfristige Dienstfähigkeit zu 78 Prozenterschöpft. Es stand nicht genug Geld zur Verfügung, um das Anlagevermögen zu erneuern. Der Cashflow III deckte nur 65 Prozent der Abschreibungen auf Anlagen, die insgesamt bereits zu 68 Prozent abgeschrieben waren.

 

Fazit:
Selbst das Mittel der Betriebe bewegte sich also bei deutlicher Substanzaufzehrung am Rand der Wirtschaftlichkeit. Das untere Drittel der Betriebe war nicht wirtschaftlich. Schäferinnen und Schäfer werden weder vom Markt noch durch staatliche Beihilfen auskömmlich für ihre öffentlichen Leistungen entlohnt. Es muss davon ausgegangen werden, dass bei unveränderter Markt- und Förderlageetwas 30 bis 50 Prozent der Betriebe im nächsten Jahrzehnt aufgeben. Hinzu kommt, dass nach Schätzungen des Bundesverbandes Berufsschäfer nicht mehr als 30 Prozent der Betriebe eine Nachfolgeregelung haben, trotz Überalterung der Betriebsführer. Die Existenzkrise der Schäferei in Deutschlandbegann also schon lange vor dem Wolf. Die zusätzlichen Lasten durch den Wolf werden den Zusammenbruch des Sektors beschleunigen.


Die Rückkehr des Wolfes trifft besonders die Schafhaltung. Nach Wild sind Schafe und Ziegen mit Abstand seine primären Beutetiere. Aufgrund der – auch ohne Wolf – bereits kritischen ökonomischen Situation der Schäferei bedrohen die zusätzlichen wirtschaftlichen Lasten aus Herdenschutz und Rissen das Überleben des Sektors. (Foto © GzSdW Benning)

Abb. 1: Wolfsverursachte Nutztierschäden in Deutschland (Copyright: DBBW22)

Abb. 2: Anteil Nutztierarten 2002-2016 (Copyright: DBBW23)


Risse
Im Jahr 2016 töteten oder verletzten Wölfe 1.079 Weidetiere bei 285 Übergriffen (Abb. 1). Unter den Nutztieren sind Schafe die primäre Beute des Wolfs. Im Zeitraum von 2002 bis 2016 gab es3.455 Risse, davon betrafen 87 Prozent Schafe und Ziegen, zehn Prozent Gatterwild sowie drei Prozent Rinder (Abb.2).

Die Bundesländer zahlten 2016 zum Ausgleich von Schäden durch Risse De-Minimis-Beihilfen im Umfang von 135.140 Euro, also 464 Euro je Übergriff.24

In der Regel erfolgt ein Schadenausgleich nur in Wolfsgebieten und nacheiner aufwendigen Rissbegutachtung. Dabei wird geprüft, ob fachgerechter Herdenschutz vorhanden war und der Wolf als Verursacher nicht auszuschließen ist. Aufgrund europäischer Vorgabensind diese Beihilfenbeschränkt auf den Ausgleich von Tierverlusten und anderen direkten Schäden. Es gibt keinen Rechtsanspruch auf diese Zahlungen. Indirekte Schäden gehen voll zu Lastender Weidetierhalter, so beispielsweise geringere Lammzahlen oder Gewichtszunahme, aber auch Arbeitsaufwanddurch Störungen im Verhältnis zwischen Herde und Hütehunden. Zukünftig sollen zumindest die Kosten für Mehrarbeit durch die Suche nach ausgebrochenen Tieren beihilfefähig werden. Jeder Riss belastet zudem die Schäferinnen und Schäfer sowie ihre Familienseelisch. Auf den ersten Riss folgt eine tiefe Angst vor dem nächsten Übergriff. Oft wirken diese Belastungen tiefer als die wirtschaftlichen Folgen. 

Herdenschutz
Die Kosten für Anschaffung, Einsatz und Erhalt von Herdenschutzmaßnahmensind beträchtlich. Sie sind weitgehendabhängig vom Flächentyp und Haltungsverfahren. Das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft(KTBL) hat dazu 2018 Zahlenvorgelegt: Im günstigsten Fall der Hütehaltung auf Heideflächen betragen die Mehrkosten für den Einsatz von Zäunen und Hunden demnach 54 Euro je Hektar Betriebsfläche, im ungünstigen Fall bei Koppelhaltung auf Küstendeichen 843Euro.
25

Durch den Herdenschutz fallen also in einer typischen Schäferei mit 180 Hektarbei Einsatz von Zäunen und Hunden mindestens Mehrkosten von 9.720 Euro an oder 20 Prozent des ordentlichen Betriebsergebnisses beziehungsweise 43Prozent der Entnahmen für die Lebenshaltung. Die Mehrkosten allein für die erwerbliche Schäferei lassen sich bei flächendeckender Ausbreitung des Wolfes auf zehn bis 30 Millionen Euro im Jahrschätzen.

Die Kosten für Anschaffung, Einsatz und Erhalt von Herdenschutzmaßnahmensind beträchtlich. Sie sind weitgehendabhängig vom Flächentyp und Haltungsverfahren. Bis jetzt gleichen staatliche Beihilfen nur einen Bruchteil der Lasten durch die Rückkehr des Wolfes aus.

 (Abb. © NABU A. Wolff)

Daher ist es beunruhigend, dass der Bundestag vor kurzem gerade einmal 1,05 Millionen Euro für den Herdenschutz zur Verfügung gestellt hat. Diese Entscheidung steht auch im auffälligen Kontrast zu dem Raum, den die Verteidigung der Schafhaltung gegen den Wolf in der politischen Debatte einnimmt. Die Bundesländer leisteten im Jahr 2016 De-Minimis-Beihilfen zum Herdenschutz in Wolfsgebieten im Umfang von 1.100.963 Euro.26

Förderfähig sind allerdings nur Investitionskosten, die nach Berechnung der KTBL lediglich einen Bruchteil der Vollkosten ausmachen. Im Fall wolfsabweisender Zäune beträgt dieser Anteil fünf Prozent.27 Die kürzliche Entscheidung der Europäischen Kommission, die Beihilfefähigkeit der Investitionskosten von 80 Prozent auf 100 Prozent anzuheben, wird die betroffenen Betriebe also kaum entlasten. 

Fazit:
Staatliche Beihilfen gleichen nur einen Bruchteil der Lasten durch die Rückkehr des Wolfes aus. Die Folgen von wiederholten Übergriffen können die Existenz einzelner Betriebe gefährden. Die Mehrkosten für den Herdenschutzstehen in keinem Verhältnis zu den Erträgen erwerblicher Betriebe. Sie sind geeignet, wirtschaftliche Existenzen zu zerstören, und damit unzumutbar. 

Lösungsansätze
Die gesellschaftliche Debatte in Deutschland konzentriert sich idealtypisch betrachtet auf zwei Lösungsansätze. Der erste setzt auf die Regulierung des Wolfes durch Populationskontrolle. Der zweite setzt auf die Prävention von Konflikten durch Herdenschutz und selektive Abschüsse von auffälligen Wölfen.

Es ist wissenschaftlich unbelegt, dass freie Bejagung von Wölfen zu weniger Übergriffen auf Nutztiere führt. Es gibt sogar Hinweise, dass Übergriffe nach Abschüssen zunehmen können. Mögliche Erklärungen dafür sind Störungen der Rudelstrukturen und das Nachrücken von Jungtieren ohne Scheu vor Herdenschutz in freigewordene Territorien.

(Foto © R. Bernhardt)


Regulierung des Wolfes

Vertreter der Regulierung fordern eine strikte Bestandsobergrenze und eine ordentliche Bejagung des Wolfs. Gebiete, in denen Herdenschutz aus ihrer Sichtunmöglich ist, sollen wolfsfreie Zonen werden. Es ist jedoch wissenschaftlich unbelegt, dass freie Bejagung von Wölfen zu weniger Übergriffen auf Nutztiere führt. Die Literatur ist dazu uneins. Sie kommt teils auf der gleichen Datenbasis zu unterschiedlichen Ergebnissen. Es gibt sogar Hinweise, dass Übergriffe nach Abschüssen zunehmen können. Mögliche Erklärungen dafür sind Störungen der Rudelstrukturen und das Nachrücken von Jungtieren ohne Scheu vor Herdenschutz in freigewordene Territorien.28

 

Im Konzept der Bestandsobergrenze werden Tierbestände, die eine definierte Grundpopulation übersteigen, zum Abschussfreigegeben. Im Fall des Wolfes als besonders geschützter Art ist dieser Ansatz rechtswidrig. Dennoch wird oft behauptet, es gäbe eine entsprechende rechtskonforme Praxis in Schweden, Finnland und Frankreich.

Das ist sachlich falsch: Gegen Schweden hat die Kommission im Juni 2015 ein Verfahren wegen Vertragsverletzungeröffnet.29

Und im Konfliktmit Finnland hat der Europäische Gerichtshof 2007 ein Urteil gesprochen:
• Abschussquoten sind demnach lediglich zulässig, wenn sie im nationalen Recht Obergrenzen festlegen, die Genehmigungen für Abschüsse nach Artikel16 (2) FFH-Richtlinie begrenzen. Diese Grenze muss sich am günstigen Erhaltungszustand orientieren.
• Ferner ergibt sich aus dem Urteil, das präventive Abschüsse im Rahmen von Artikel 16 (2) FFH-Richtlinie grundsätzlich nur zulässig sind, sofern wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass sie tatsächlich die Abwehr oder Minderung schwerwiegender Schäden bewirken können.
30

In Frankreich begrenzt nach diesen Vorgabeneine nationale Abschussquote, orientiert am günstigen Erhaltungszustand, die Anzahl der Abschüsse, die von den Präfekturen unter Beachtung von Artikel 16 (2) genehmigt werdedürfen.31 Es handelt sich hier also nicht um eine Quote für genehmigungsfreie Abschüsse.

 

Fazit:
Wolfsfreie Zonen sind aufgrund des Territorial- und Wanderverhaltens des Wolfes in Verbindung mit der heimischen Flächenstruktur in Deutschland nicht umsetzbar.
32 Außerdem sind sierechtswidrig.33

Bestandsobergrenzen oder wolfsfreie Zonen sind im Momentrechtlich unmöglich. Sie sind auch praktisch keine sinnvollen Lösungsansätze für den Umgang mit dem Wolf in Deutschland.

 

Prävention von Konflikten
Die Wirksamkeit von Herdenschutzbei der Prävention von Wolfsübergriffen zeigt beispielhaft ein Vergleich der Nachbarländer Norwegen und Schweden. Beide Länder bejagen den Wolf. Dennoch reißt ein Wolf pro Jahr in Norwegen
34 Schafe, aber in Schweden nur 0,85. Der maßgebliche Unterschied ist, dass Schafe in Norwegen unbehütet auf freien Flächen weiden, während sie in Schweden hinter Zäunen gehalten werden.34 Bisher haben sich auch in Deutschlandverschiedene Kombinationen aus Maßnahmen des Herdenschutzes auf vielen Flächen bewährt. Das sind vor allem die aktive Behütung von Herden, wolfsabweisende Einfriedungen und Herdenschutzhunde. Die heute bekannten Formen des Herdenschutzes sind aber nicht für alle Betriebe und Flächen geeignet. Beispiele dafür sind Deiche, Gebirge, Tourismusgebiete und auch kleinere Herden im Nebenerwerb oder in der Zucht. Für diese Fälle müssen Lösungen gefunden werden. Dafür muss die technische Entwicklung vorangetrieben werden. Die letzte große Innovation im Herdenschutz war das Weidezaungerät. Vielversprechende Ansätze finden sich unteranderem mit Blick auf Ultraschallhalsbänder, Bodenradar oder Drohnen.

Es ist bei alldem wichtig anzuerkennen, dass es vollkommen sicheren Herdenschutz nicht gibt. Herdenschutz ist immer nur Risikomanagement. Wölfe dürfen nicht lernen, dass Weidetiere eine mögliche Beute sind. Daher ist Herdenschutz ohne praktische Alternative. Er ist notwendig, egal ob es in einem Gebiet zehn oder 100 Wölfe gibt. Ebenso notwendig ist die selektive Entnahme von Einzelwölfen oder Rudeln, die Weidetiere trotz Herdenschutz bejagen. Im Interesse der Koexistenz gibt es dazu keine Alternative. In Deutschland haben Schäferei, Naturschutz und Tierschutz einen Konsens zur Entnahme gefunden: Wölfe, die sorgfältig angewendeten, empfohlenen Herdenschutz zweimal überwinden und Weidetiere töten oder verletzen, sollten entnommen werden, so die Verbände in einem Offenen Brief an die 91. Umweltministerkonferenz vom 8. November2018.35

 

Abschlussbetrachtung
Die Europäische Kommission hat Änderungen des Artenschutzrechts ausgeschlossen, trotz Einwirkungen der Bundesregierung und des EuropäischenParlaments.
36 Der Rechtsrahmen wird sich daher in den nächsten fünf bis zehn Jahren sicherlich nicht verändern. Europäische Rechtsetzungsprozesse sind bekanntlich sehr langwierig. Bis 2023 soll sich aber die Wolfspopulation in Deutschland mehr als vervierfachen und auf 254 Rudel anwachsen. Ab etwa 2035 ist eine Stabilisierung der Population auf 430 Rudel zu erwarten.37 Daher ist es dringend notwendig, dass die politischen Lager ihre Konflikte über den langfristigen Umgang mit dem Wolf beiseiteschieben. Lösungsansätze, die unmittelbar im Hier und Jetzt wirken, müssen Vorrang haben. Es gilt, gemeinsam eine Zukunft für die Schäferei in Deutschland zu sichern.

 

Folgerungen & Forderungen
• Herdenschutz muss soweit möglich zur Normalität werden, genauso die Entnahme von auffälligen Wölfen.
• Die zusätzlichen wirtschaftlichen Belastungen der Schäferei durch die Rückkehr des Wolfes müssen in vollem Umfang verpflichtend durch Beihilfenaufgefangen werden.
• Der nationale Strategieplan für die GAP 2020 muss ein Instrument für den Herdenschutz enthalten.
• Aufgrund des unklaren Zeitplans zur GAP 2020 müssen die Zuwendungen für Rissschäden und Herdenschutzzeitnah in notifizierte Beihilfen überführt werden. Das geschaffene Bundesprogramm Herdenschutz ist auszubauen. Die Vorgaben des europäischen Beihilferechts sind dabei auszuschöpfen.
• Die Wirtschaftlichkeit der Schafhaltung muss gesichert werden. Schäferinnen und Schäfer müssen auskömmlich für ihre Erzeugnisse und gesellschaftlichen Leistungen in Natur, Umwelt und Kultur entlohnt werden. Solange der Markt versagt, muss der Staat eintreten. Nach Ablehnung der Weidetierprämie ist die Bundesregierung in der Pflicht einen entsprechenden Vorschlag auszuarbeiten.

Abb5: Wölfe dürfen nicht lernen, dass Weidetiere eine mögliche Beute sind. Daher ist Herdenschutz ohne praktische Alternative. Er ist notwendig, egal ob es in einem Gebiet zehn oder 100 Wölfe gibt. Ebenso notwendig ist die selektive Entnahme von Einzelwölfen oder Rudeln, die Weidetiere trotz Herdenschutz bejagen. Im Interesse der Koexistenz gibt es dazu keine Alternative. 

(Foto © NABU A. Wolff)

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